Elektriker im Inneren des Herzens

Die Rhythmologie (auch Elektrophysiologie genannt) ist eine noch junge ärztliche  Disziplin.  Vielen Patienten konnte dadurch schon geholfen werden. Insbesondere in der Therapie des Vorhofflimmerns, in der Schlaganfall-Prophylaxe sowie in der Behandlung von Herzinsuffizienz gibt es neue und ermutigende Entwicklungen. In der von Prof. Andreas Mügge geführten Kardiologie des St. Josef-Hospitals wurde unter  Leitung von PD Dr. Alexander Wutzler eine neue Abteilung für Rhythmologie aufgebaut. Darüber hinaus ging ein neues Katheterlabor in Betrieb.

Langsam gleitet der Katheter durch das Herzgewebe und misst den dort fließenden Strom. Wie ein  gekrümmter Finger. Unermüdlich tastet er, wird mal gebogen, mal gedreht und dann wieder gestreckt. Gleich drei Katheter auf einmal sind an diesem Tag durch die Leiste ins Herz vorgeschoben worden, unter ihnen ein „Lasso“, das je nach Bedarf verengt und geweitet wird, um den Strom zu messen. Millimetergenau muss das  geschehen, nur dann kann PD Dr. Alexander Wutzler das von Rhythmusstörungen belastete Herz analysieren und wieder ins Gleich gewicht bringen. Dazu werden erkrankte Stellen des  Herzens gezielt verödet und der Stromfluss damit umgeleitet. Eine ruhige Hand braucht er, ein scharfes Auge und vor allem: viele Jahre Erfahrung. Draußen vor der Scheibe sitzt der assistierende Arzt oder Techniker am Bildschirm, gewissermaßen als Copilot. Er regelt auch die Wärmeenergie, die auf Kommando über den Draht an die Katheterspitze zugeführt werden muss, damit sie punktgenau veröden kann. „Mit ihm muss ich perfekt harmonieren“, sagt Dr. Wutzler. Hochkonzentriert steht er am Tisch, die Augen stets auf die Bildschirme gerichtet, die genauen Aufschluss über jede kleinste Bewegung des Katheters im Inneren des Herzens geben. Kontrastmittel tragen zur Darstellung des feingliedrigen Gewebes bei.


Hier ist echte Hochtechnologie im Einsatz. Ablationen  (lateinisch „Ablösung“, „Abtragung“), wie diese  Eingriffe auch genannt werden, sind komplex. Die Rhythmologie ist in Deutschland immernoch eine relativ junge ärztliche Fachrichtung, die erst vor rund 30 Jahren aufkam. Nur in sehr leistungsstarken Krankenhäusern wird diese elektrophysiologische Untersuchung auf hohem Niveau durchgeführt. Dr. Wutzler gehört zu den führenden Spezialisten in Deutschland und genießt internationalen Ruf. Er wechselte im Oktober 2015 von der Berliner Charité ins   St. Josef-Hospital und baute dort in der Kardiologie eine neue Abteilung für Rhythmologie auf. Vor diesem Hintergrund wurde in  Bochum ein zweites Katheter-Labor  eingerichtet, das im ersten Quartal 2015 seinen  Betrieb aufnahm.
Nicht bei allen Patienten kommt die Ablation in Frage, sondern vor allem dann, wenn eine Rhythmusstörung trotz Einnahme von Medikamenten noch Beschwerden verursacht. Außerdem haben Medikamente Nebenwirkungen und müssen in vielen Fällen dann lebenslang genommen werden. Der Bedarf ist hoch. Herzkrankheiten nehmen stark zu, vor allem wegen einer oft ungesunden Ernährung und der demografischen Entwicklung. Ältere Menschen sind von Herzproblemen überdurchschnittlich betroffen. Die  bekannteste und häufigste Rhythmusstörung ist das sogenannte Vorhofflimmern. In vielen Fällen führt es zu Gerinnseln, die dann einen Schlaganfall verursachen  können. Fast jeder vierte Schlaganfall ist auf solche  Gerinnsel im  Herzen zurückzuführen.


Für eine kurze Ablation ist eine lokale Anästhesie in der Regel ausreichend. Die Untersuchung kann mehrere Stunden dauern, so dass bei längeren Eingriffen leichte  Beruhigungsmittel zum Einsatz kommen. Eine Vollnarkose ist fast nie notwendig. Auf der Suche nach der exakten Fehlerquelle geht der behandelnde Arzt wie ein Elektriker an der Steckdose vor, um herauszufinden, wo im Herzen eine fehlerhafte elektrische Leitung stattfindet. Sobald dies erkannt wird und der Stromfluss korrigiert werden muss, verödet Dr. Wutzler das betroffene Herzmuskelgewebe mit dem Katheter. Alles mehrfarbig auf dem Bildschirm sichtbar. „Geometrie“, nennen die Elektrophysiologen dieses Bild: Der gerade behandelte Teil des Herzens wird sauber abgegrenzt und gestochen scharf auf dem Monitor gezeigt. Selbst Minimalbewegungen des Katheters sind dabei deutlich sichtbar.

Am Ende einer erfolgreichen Behandlung steht ein ausgewogener Stromfluss, der das Herz wieder gleichmäßig schlagen lässt. Besondere Expertise verlangt diese  Behandlungsform bei Eingriffen in der Herzkammer selbst, also gewissermaßen im Herzen des Herzens. Diese Patienten sind überdurchschnittlich schwer krank und ihre Rhythmusstörungen oft lebensgefährlich. Erforderlich ist dann unter anderem eine dreidimensionale Abbildung („Mapping“). Um diese Untersuchung auf hohem Niveau zu leisten, sind deutlich mehr als jene zwei Jahre Erfahrung nötig, die eine Zusatzweiterbildung üblicherweise dauert.Der Katheter muss extrem genau geführt werden. Eine solche Präzision verlangen zwar auch andere ärztliche Fachrichtungen. Zusätzlich kompliziert wird die kardiologische Ablation jedoch unter anderem durch die hohen computertechnischen Anforderungen. Das Computersystem zu verstehen, seine Messergebnisse richtig einzuordnen und darauf gezielt zu reagieren, ist eine hohe Kunst.

Auch in der Forschung ist Dr. Wutzler sehr aktiv. Dies  bereits in seiner Berliner Zeit, wo er in der Kardiologie der  Charité stellvertretender Forschungsbeauftragter war und in dieser Funktion eng mit Prof. Georg Juckel, dem Leiter der Psychiatrischen Klinik der Ruhr-Universität Bochum, zusam-menarbeitete. Dabei wurde unter anderem die Hypothese bestätigt, dass Herzrhythmusstörungen auch die Durchblutung des Gehirns und anderer wichtiger Organe beeinträchtigen. In einem zweiten Schritt soll nun untersucht werden, ob und inwieweit dadurch auch Konzentrationsstörungen, Depressionen und Demenz entstehen oder zumindest begünstigt werden. Dazu ist eine zweijährige Studie mit mehr als 300 Patienten angelaufen.