Gesunde Darmflora schützt auch das Hirn

Eine neue Therapieoption bei Multipler Sklerose (MS) hat Prof. Aiden Haghikia, Leitender Oberarzt in der Neurologie, mit seinem Forschungsteam entwickelt: Durch die Verabreichung einer Fettsäure, dem so genannten Propionat, zeigten sich in Studien positive Effekte. Ausgangspunkt der Forschung war die Frage, welche Rolle Ernährung und Darmgesundheit bei MS spielen.

Bei der chronischen Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose attackiert das Immunsystem die körpereigenen Markscheiden, die elektrisch isolierende äußere Schicht der Nervenfasern im Zentralnervensystem (ZNS). Dadurch kann es zu fortschreitenden Seh- und Gefühlsstörungen, Schmerzen oder Lähmungen kommen.

Bereits seit den 1960er Jahren, so Aiden Haghikia, weiß man, dass das genetische MS-Risiko lediglich bei 30 Prozent liegt, während Umweltfaktoren 70 Prozent ausmachen. Da zudem bekannt ist, dass bei MS auch die Ernährung eine Rolle spielt und eine übermäßige Zufuhr tierischer Fette das MS-Risiko erhöht, wurden Fettsäuren verschiedener Längen unter die Lupe genommen.

Genauer gesagt: Ihr Einfluss auf das Immunsystem. „Wir haben festgestellt, dass kurzkettige Fettsäuren im Körper die Produktion sogenannter regulatorischer T-Zellen anregen, die Entzündungen im Körper regulieren“, fasst Prof.Haghikia das Ergebnis der Studien zusammen. Mittel- und langkettige Fettsäuren, wie sie in erster Linie in tierischen Produkten vorkommen, lassen hingegen mehr pro-entzündliche Immunzellen entstehen.

Am experimentellen Modell fand man letztlich heraus, dass vor allem eine bestimmte kurzkettige Fettsäure – die Propionsäure bzw. Propionat – zu einem Anstieg antientzündlicher Immunzellen und damit zu einem milderen Verlauf der MS-Erkrankung führt. In einer gesunden Darmflora und einer Ernährung mit vielen Ballaststoffen wird Propionsäure auf natürliche Weise von Bakterien im menschlichen Darm produziert.

Bei MS-Patienten hat Prof. Haghikia nicht nur einen Mangel an Propionsäure festgestellt. In ihrem Darm fand sich eine regelrechte Bakterienflaute. Gibt man den Betroffenen jedoch Propionsäure als Nahrungsergänzung, steigt bereits nach 14 Tagen die Zahl der regulatorischen, antientzündlichen Immunzellen deutlich an. „Das Ergebnis unserer Studien zeigt: Wir können mit relativ einfachen Maßnahmen Einfluss nehmen“, erklärt Aiden Haghikia. Nach Abschluss der Studien nehmen bundesweit bereits rund 3000 Patienten das Nahrungsergänzungsmittel ein. „Die Substanz wird gut vertragen, und wir sehen durchgehend gute Ergebnisse. Die positiven Effekte der MS-Basistherapie liegen bei 30 Prozent; die positiven Effekte einer zusätzlichen Behandlung mit Propionsäure zwischen 30 und 50 Prozent.“

Aus den Ergebnissen dieser und weiterer Studien können die MS-Forscher Betroffenen mittlerweile auch klare Ernährungsempfehlungen geben: eine überwiegend vegetarische, ballaststoffreiche Diät, die reich an Hülsenfrüchten und Gemüse ist und auf Ei und Fisch als Proteinquellen setzt.