Hilfe im Kampf gegen die Alkoholsucht

Manche trinken Alkohol, um Schlechtes zu vergessen, manche, um Schönes zu feiern. Wieder andere trinken, damit etwas passiert, wenn sonst gar nichts passiert. So brachte es der amerikanische Schriftsteller Charles Bukowski auf den Punkt. Mit Alkohol verantwortungsvoll umzugehen, ist jedenfalls eine Kunst. Wer es nicht schafft und ganz tief fällt, braucht professionelle Hilfe.

Um diese Patienten kümmern sich im Katholischen Klinikum mehrere internistische Abteilungen. Auf die psychiatrische Behandlung spezialisiert ist das Martin-Luther-Krankenhaus in Wattenscheid.

Heike Schlaupitz leitet dort die Suchtstation. Seit 25 Jahren arbeitet sie mit Alkoholkranken und hat in dieser Zeit immense Erfahrung gesammelt. „Das Umfeld hat sich stark verändert“, betont sie. „Früher waren alkoholkranke Menschen meist von dieser einen Droge abhängig. Heute kommen oft andere Drogen hinzu.“ Vor allem Cannabis (THC). Das gab es damals schon, war aber in der Wirkung längst nicht so stark wie heute. Illegale Drogen haben deutlich zugenommen, sind härter geworden, kosten viel weniger und sind an jeder Ecke zu haben. Dadurch ist auch die Behandlung von Alkoholkranken komplexer als früher.

Nur ein sehr kleiner Teil der Alkoholiker – rund zehn Prozent – kommt tatsächlich in eine Behandlung. Nach den aktuellen Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtgefahren liegt in Deutschland bei rund 3,4 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren Alkoholmissbrauch oder -abhängigkeit vor. Männer sind deutlich häufiger betroffen als Frauen.

Für Oberärztin Susanne Wenzel ist dieses Gebiet seit jeher eine spannende Herausforderung. „Mit alkoholkranken Patienten kann man gut arbeiten. Hier gilt es, psychische und somatische Aspekte in der Therapie optimal zu kombinieren.“ Es ist diese thematische Spannweite, die die Arbeit auf der Suchtstation medizinisch besonders reizvoll macht.

Und der Erfolg? Dr. Jürgen Höffler, Chefarzt der Psychiatrie im Martin-Luther-Krankenhaus, zögert. Was ist überhaupt ein Erfolg bei der Alkoholtherapie? Für viele Menschen liegt er bereits vor, wenn sie einige Monate trocken bleiben. Andere schaffen es ein Jahr, fünf Jahre oder nicht selten auch ein Leben lang.

Freiwilligkeit und der Wille zur Abstinenz sind entscheidende Kriterien für die Aufnahme in der Klinik. Die Therapie dauert in der Regel drei Wochen. Behandelt werden pro Jahr rund 450 Patienten. Etwa ein Drittel davon sind Notfälle, oft schwerster Natur. Mit vier Promille im Blut kommt jede Woche jemand, vereinzelt sind es sogar mehr als fünf Promille.

Aufnahmen erfolgen entweder mit Einweisung und nach Anmeldung und Vorgespräch, oder aber sofort, wenn ein Notfall vorliegt. Das Aufnahmegespräch dauert rund 30-45 Minuten. Die Geschichte des Patienten, seine Persönlichkeit und vor allem sein Suchtverhalten werden intensiv dokumentiert. Anschließend folgen eine körperliche Untersuchung und die Einstellung der Medikamente zur Entzugsbegleitung.

Ohne die Gabe von Medikamenten – Experten sprechen dann von kaltem Entzug - wäre dieser Prozess für die meisten Alkoholkranken kaum möglich, mitunter sogar tödlich. Symptome wie Zittern, Übelkeit, Erbrechen oder sogar epileptische Anfälle wären dann in schwer erträglicher Form an der Tagesordnung. Aber auch mit medikamentöser Unterstützung sind die Belastungen für den Klienten in dieser Phase hart. „Ein Zuckerschlecken ist das nie“, sagt Heike Schlaupitz.

An den körperlichen Entzug schließt sich die zweite Woche mit der Motivationsbehandlung an. Jeder Patient hat einen Therapeuten und eine Pflegekraft als feste Bezugspersonen. Freizeitaktivitäten wie Backen oder Sport, Untersuchungen, Ergotherapien und Entspannung wechseln einander stetig ab. Das Tagesprogramm ist intensiv.

Gute Effekte sieht Susanne Wenzel auch durch Akupunktur: „Sie wirkt außerordentlich positiv.“ Gespräche mit den Therapeuten finden sowohl einzeln als auch in der Gruppe statt.

Die dritte Woche ist geprägt von der Rückfallprophylaxe. Hier wird der Patient auf die Entlassung vorbereitet. Es gilt, möglichst präzise herauszufinden, in welcher Form und in welchen Situationen er Suchtdruck verspürt. Dies geht bis hin zur so genannten Konfrontation, wenn zum Beispiel während eines Therapiegesprächs bewusst Alkohol auf den Tisch gestellt wird und dann „ausgehalten“ werden muss. Kurz vor der Entlassung schließlich geht der Patient zur so genannten Belastungserprobung übers Wochenende nach Hause. Um sich ablenken zu können, wenn der Alkohol seinen Reiz ausübt, kann er aus einem Notfallkoffer bestimmte Substanzen mitnehmen – von Chili-Bonbons über Pfefferminzöl bis zu Brausetabletten. Nach dieser Testphase daheim kehrt er in die Klinik zurück und wird regulär entlassen.

Und dann? Wie geht es weiter? Ist Alkohol in der Folge strikt verboten oder in Grenzen erlaubt? Dr. Höffler hat da eine ganz klare Position: „Kontrolliert trinken, das können die Wenigsten. Deshalb empfehlen wir eindeutig strikte Abstinenz.“

Zum Wattenscheider Konzept gehört es, dass der Kontakt mit den Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus möglichst nicht abreißt. In Bochum gibt es zahlreiche Selbsthilfegruppen für Alkoholiker und auch dadurch eine hervorragende poststationäre Versorgung. „Wir wollen, dass die Patienten dort andocken“, sagt der Chefarzt. Ganz bewusst werden diese Gruppen auch ins Martin-Luther-Krankenhaus eingeladen, um sich dort regelmäßig zu treffen. Mit den professionellen Suchtberatern gibt es einmal pro Woche einen Jour fixe.

Auf diese Weise bleiben feste Bezugspunkte mit den Patienten bestehen. Die Chance, bei Bedarf mit Rat und Tat auch in instabilen Situationen bereit zu stehen, steigt. Donnerstags gibt es auf der Station ein festes Kaffeetrinken für die Ehemaligen. Das Interesse an diesem Kommunikationsangebot ist beachtlich, mitunter sind dort in zwangloser Runde 15-20 Menschen vertreten. Manche kommen schon seit Jahren.

Nicole Picakci

Trocken, aber nicht geheilt

Nicole Picakci hat mit dem Alkohol eine harte Zeit durchlebt

In jedem von uns steckt ein Problem, das man in die Schublade stecken möchte.“ Nicole Picakci (49) hatte mehr davon als nur eines. Da war der Vater, von dem sie vergeblich hoffte, dass er einmal stolz auf sie sein würde. Da war erst die Magersucht, dann die Probleme mit dem Partner und immer wieder der alltägliche Stress mit dem Haushalt und dem Geld. Anfangs half der Alkohol stets schnell. „Ich musste halt funktionieren.“

Mit Genuss, Hochgefühl und Partystimmung hatte der Alkohol-Konsum bei ihr von Anfang an nichts zu tun. Wein, Bier oder Sekt, das gab es nie: „Ich fing sofort mit Wodka an. Davon braucht man zunächst wenig, und es geht schnell.“ Wie jeder andere Alkohol, ist er leicht zu bekommen und relativ billig. Der Knopf für alle Möglichkeiten.

Dreimal war sie zur stationären Therapie im Martin-Luther-Krankenhaus. Das letzte Mal liegt nun vier Jahre zurück, seitdem ist sie trocken. Als geheilt bezeichnet sie sich nicht: „Das gibt es nicht. Ich bin trockene Alkoholikerin.“

Um den Schalter umzulegen, braucht man den unbedingten Willen zur Wende. Keine Ausflüchte, keine Kompromisse, kein manchmal und kein vielleicht. Und vor allem Härte zu sich selbst. „Ich habe das Problem, nicht meine Umwelt“, sagt die Wattenscheiderin. Und die Lösung kommt nicht als Urknall, sondern muss immer neu erkämpft werden und bleibt auch dann, wenn man meint, es geschafft zu haben, eine Daueraufgabe.

Wer alkoholkrank wird, gleitet in den meisten Fällen unmerklich hinein. Zwar wächst im tiefen Inneren irgendwann ganz zart der Verdacht, dass es so nicht weitergehen kann. Doch Gründe, um dann wegzuschauen, die Gefahr zu unterschätzen und der Selbsterkenntnis auszuweichen, gibt es genug. Und wenn der körperliche Abbau und die psychische Abhängigkeit erst einmal Fahrt aufgenommen haben, geht es unglaublich schnell.

Der Sucht die Stirn zu bieten, ist schwierig, aber möglich. Den Tag planen, die Woche, den Monat. Sich Ziele setzen, offen und ehrlich sein im Umgang mit der Droge. Nicole arbeitet für den Beratungs- und Betreuungsdienst „Bürgerhilfe“ e.V., geht in die Selbsthilfegruppe und nimmt am Kaffeetrinken der Ehemaligen im Martin-Luther-Krankenhaus regelmäßig teil. Hier hat sie die Chance, in die Zukunft zu blicken, ohne die Vergangenheit auszublenden.

Nur eine Minderheit von Alkoholkranken kommt tatsächlich in eine ambulante oder stationäre Behandlung. Eine riesige Hilfe, aber immer nur ein kleiner Schritt. In der Therapie bekommt der Patient das Werkzeug, anwenden muss er es selbst. Nicole Picakci jedenfalls hat auf diesem Weg viel Aufbauarbeit geleistet. Und gelernt zu kämpfen: „Ich habe Jahre meines Lebens sinnlos verbraucht. Und was die Zukunft bringt, muss man sehen. Eines aber ist sicher: Ich bin gewachsen und stark geworden.“