Ärzte brauchen Feingefühl

An den Tag, an dem sie erstmals einem Patienten eine Krebsdiagnose vermitteln musste, erinnert sich Sina Vogel noch recht gut. Natürlich war sie sich, damals mit 27 Jahren, der Tragweite dieses Gesprächs bewusst. „Angst hatte ich nicht, aber ich war sehr angespannt.“ Heute, als Ärztin in der Universitätsklinik für Allgemeinchirurgie des St. Josef-Hospitals (Direktor: Prof. Waldemar Uhl), kommen solche Situationen leider häufig vor. Da gilt es, gut vorbereitet zu sein.

Geholfen hat Sina Vogel, dass sie schon in ihrem Studium an der Universität Münster anspruchsvolle Gesprächstrainings absolviert hatte. Aber noch heute tut sie viel, um diesen Stresssituationen möglichst gut gerecht zu werden. Dazu gehört die Teilnahme an Kommunikationsseminaren, die im Katholischen Klinikum regelmäßig angeboten werden. So wie heute. Christian Oberberg, Veranstalter der KKB-Kommunikationsseminare, hat wie üblich eigene Rollenspiele entwickelt, für die er stets professionelle und semiprofessionelle Schauspieler hinzuzieht. Thema diesmal: Eine Frau wird von Angehörigen mit akuten Bauchschmerzen in die Notaufnahme gebracht. Die Sonographie ergibt den Verdacht auf einen Tumor. Nach stationärer Aufnahme folgt am nächsten Tag eine Magenspiegelung. Gewebeproben werden entnommen und zur Untersuchung geschickt. Dann wird der Patientin das Ergebnis mitgeteilt. Krebs!

"Man kann Kommunikation üben und sollte es auch"

Im Rollenspiel überbringt Sina Vogel die bedrückende Nachricht. Man merkt trotz ihrer erst 32 Jahre sofort, dass sie bei diesem sensiblen Thema schon viel Erfahrung hat. Ohne auszuweichen, schildert sie in ruhigen festen Worten, was passiert ist. Bringt Zeit mit, schaltet das Telefon aus, um nicht gestört zu werden. Findet bei der Informationsdichte die richtige Balance. Keine Flucht auf die Sachebene, keine billigen und ablenkenden Allgemeinplätze. Auch längere Pausen werden ertragen, Räume für Emotionen gegeben. In solchen Situationen den Augenkontakt und ein Schweigen über längere Zeit auszuhalten, das ist enorm hart.

Sina Vogel ist darin inzwischen sattelfest. Und krisenerprobt. Sie erinnert sich: „Als mein Ziel feststand, in die Bauchchirurgie zu gehen, war für mich klar, dass ich immer wieder in solche Situationen geraten werde und schlimme Diagnosen überbringen muss.“ In ihrem Praktischen Jahr, damals mit 26 Jahren, war reichlich Zeit, sich zu fragen: Kann ich das? Will ich das? Die Antwort fiel dann klar aus: „Emotional fühlte ich mich gewachsen.“

Immer noch ist Krebs eine Diagnose, die den Patienten schnell erschlägt. Damit dies nicht passiert, zeigt der Arzt Perspektiven auf, auch wenn sie kein einfacher Weg sind. Tenor: „Wir sind nicht am Ende, wir können etwas tun und haben etwas anzubieten.“ In der Klinik ist dafür die interdisziplinäre Abstimmung von Ärzten unterschiedlicher Fachrichtungen wichtig z.B. in der Tumorkonferenz.

Christian Oberberg (55), diplomierter Psychologe, hat in seinen Seminaren immer wieder die Kommunikation zwischen Arzt und Patient trainiert. Rund 25.000 Teilnehmer hat er bereits geschult, darunter mehrere hundert aus dem Katholischen Klinikum. Krankenhäuser gehören zu seinen Schwerpunktkunden, neben der Polizei (Deeskalation), Busfahrern mit ihren ständigen Kundenkontakten sowie Industrieunternehmen.

Von herausragender Bedeutung ist für ihn die Achtsamkeit. Ganz egal was man macht, man kommuniziert immer. Selbst wenn man schweigt oder wegschaut. Sogar gerade daran. Sich bewusst zu machen, was die eigenen Worte bewirken können, die daraus folgenden Konsequenzen, Risiken und Chancen im Blick zu haben, ist für eine konstruktive Arzt-Patient-Beziehung entscheidend.

Obenan steht neben der Achtsamkeit immer die Ehrlichkeit. Alles, was in Krisengesprächen mit Patienten gesagt wird, muss der Wahrheit entsprechen, denn der kranke Mensch hat ein Recht darauf. Umgekehrt muss aber nicht alles, was wahr ist, auch gesagt werden, schon gar nicht im ersten Aufklärungsgespräch. Was kann der Patient aufnehmen? Was kann er verstehen und verarbeiten? Was ist gerade jetzt wichtig? Was hat Priorität und was kann zumindest für diesen Moment noch weggelassen werden? Sensible Fragen, bei denen eine Balance gefunden werden muss. Das ist enorm kompliziert, denn jeder Mensch reagiert anders, hört anders zu, nimmt anders auf und verarbeitet anders. Auch in stabilen Situationen, erst recht aber im Stress. Das macht es für den Arzt so schwierig, die richtigen verständlichen Worten zu finden. Was für ihn nahezu alltäglich ist, erlebt der Patient oft zum ersten und einzigen Mal.

Und dann kommt noch das Prinzip Hoffnung. Manche Ärzte glauben, dem Patienten beim Überbringen schlechter Nachrichten bestimmte harte Fakten vorenthalten zu müssen, um ihn psychologisch zu schützen und ihm die Hoffnung nicht zu nehmen. Christian Oberberg sieht das skeptisch: „Was man wissen will, verkraftet man auch.“ Nicht alle, aber viele Menschen entwickeln dann eine erstaunliche und manchmal unbändige Kraft. Sei es wegen der Familie, die noch Schutz braucht, seien es die eigenen Ziele, die man im Leben noch erreichen möchte.Oft stählt der Umgang mit dem Krebs den eigenen Willen und die eigenen Fertigkeiten.

Davon ist die Patientin im Rollenspiel des Seminars noch weit entfernt. Für sie geht es jetzt darum, das Thema Krebs überhaupt erst mal aufzunehmen. Sina Vogel sagt nicht nur „Sie“ und „ich“, sondern dort, wo es angebracht ist, „wir“. Ein starkes Signal! Es stärkt die Gemeinsamkeit und damit die Motivation. Die Chirurgin erklärt in ruhigen, flüssigen und verständlichen Worten die Pathologie, präsentiert die verschiedenen Optionen und greift sogar zu Papier und Bleistift, um der Patientin die Erkrankung des Organs plastisch zu visualisieren. „Das ist jetzt sehr viel für Sie“, sagt sie, dokumentiert damit Einfühlsamkeit und öffnet gleichzeitig den Raum für Fragen, die man vielleicht nicht mehr erwartet, die aber doch noch kommen können. Wer weiß?

So etwas wie die Königsdisziplin eines solchen Gesprächs ist das Ende und die verbindliche Verabschiedung. Hier muss empathisch abgeschlossen werde, was zuvor begonnen wurde. Ein Schulterschluss ohne anbiedernde Kumpanei. Die nächsten wichtigen Schritte werden vorgezeichnet, wenn möglich mit Terminangaben. Vielleicht abgeschlossen mit der Einladung: „Melden Sie sich, wann immer Sie Fragen haben. Ich bin für Sie erreichbar.“

Kann man empathische Kommunikation trainieren? Viel ist gewonnen, wenn in der eigenen Selbstbewertung des Arztes nicht nur die Fachlichkeit zählt, sondern auch die Beziehungsebene. Emotionen, Gesprächstechniken, Gestik und Körpersprache dürfen nicht lästiges Beiwerk sein, sondern müssen den Fakten gleichrangig werden. Nein, Kommunikation ist nicht gottgegeben und auch nicht Glückssache. Für Sina Vogel steht fest: „Man kann sie üben und sollte es auch.“