Bob-Piloten vertrauen auf Bochumer Physiotherapeuten

Für Ingo Freitag steht fest: „Olympia 2022 in Peking war beruflich für mich bisher der absolute Höhepunkt.“ Der Physiotherapeut aus der RuhrSportReha des Katholischen Klinikums Bochum ist seit sechs Jahren schon bei vielen Top-Veranstaltungen der Bobpiloten als Betreuer dabei gewesen, aber Olympia steht halt noch über allem. „Es regnete Medaillen. So viele haben wir noch nie geholt.  Teil dieses Teams zu sein, war fantastisch.“

Inzwischen ist der 37-Jährige in der deutschen Bob-Nationalmannschaft zum Leitenden Physiotherapeuten aufgestiegen. Und zu tun ist viel. Auf Muskulatur, Wirbelsäule, Gelenke, Knochen und Sehnen wirken nämlich im Bob bei Tempo 120 Kräfte, die sich Laien nicht ansatzweise vorstellen können. Wer hier nicht voll durchtrainiert und stabil wie ein Baum ist, wird zum Spielball des Schlittens und brutal herumgeschleudert. Eine Achterbahnfahrt auf der Kirmes, und sei sie noch wo wild, ist dagegen ein Kaffeekränzchen.

Physiotherapie, ob präventiv oder bei Verletzungen, ist daher unerlässlich. Schon früh hat Ingo Freitag, ähnlich wie Kollegen aus der RuhrSportReha, physiotherapeutisch ein Faible für den Spitzensport entwickelt. Anfangs für Jugendspieler bei Schalke 04, dann verstärkt im Leichtathletik-Olympia-Stützpunkt Wattenscheid und schließlich im Bobsport, in den viele Leichtathleten als Anschieber wechseln.

Olympia war in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Erlebnis: „Das fing schon mit den Corona-Schutzmaßnahmen an. Auf Schritt und Tritt folgten uns chinesische Servicekräfte, die hinter uns herwischten.“ Das Bob-Team bestand aus 22 Pilotinnen und Piloten. Gearbeitet hat Ingo Freitag mit allen, bis hin zu den Superstars Francesco Friedrich und Hansi Lochner.

Es gab eine 24-stündige Bereitschaft: „Wenn jemand spontan Unterstützung brauchte, musste ich zu jeder Tages- und Nachtzeit da sein.“ Nicht jeder Pilot benötigte die Massage jeden Tag, andere dafür mitunter zwei bis dreimal pro Tag.

Bei der Therapie allein blieb es nicht: „Wir haben auch andere Dinge übernommen, zum Beispiel Videoaufnahmen für die Lauftechnik beim Start, die dann akribisch analysiert wurden.“ Was die wenigsten Laien wissen: Auch beim Start wird der Körper von Bobfahrern in hohem Maße beansprucht, vor allem in den Fußgelenken durch den Sprint mit Spikes auf dem Eis.

Ist der Schlitten einmal in Fahrt, sitzt auch der Anschieber tief gedruckt, um möglichst wenig Windwiderstand zu bieten und sieht dann rein gar nichts. Das heißt aber nicht, dass er nicht gefordert wird. Er muss die Strecke auswendig kennen, muss jede Kurve und jede andere Schwierigkeit vorausahnen, um sich vor Schlägen zu schützen.

Da das nie vollständig gelingt, ist der Physiotherapeut ein gefragter Helfer. Je länger er in der Nationalmannschaft dabei ist, desto bekannter ist er natürlich bei den Fahrern. „Kein Therapeut ist wie der andere, jeder hat seinen eigenen Griff. Hinzu kommt, dass die Fahrer merken, wie sich auch ein Physiotherapeut auf seinem Fachgebiet weiterentwickelt.“ So entstehen spezielle Vertrauensverhältnisse.  

Bemerkenswert ist dabei der Zusammenhang von Erfolg und körperlicher Stabilität: „Wer in der Eisrinne gute Zeiten erzielt und vorne dabei ist, bleibt auch muskulär lockerer und verspannt weniger. Das merke ich auf der Massagebank ganz deutlich.“

Der Bobsport bedeutet Ingo Freitag viel. Sein Vertrag mit dem Verband läuft zunächst bis zu den nächsten Olympischen Winterspielen 2026 in Cortina d’Ampezzo (Italien). Vor wenigen Tagen war er bei den Weltmeisterschaften in St. Moritz dabei.

Solche Einsätze halten große Emotionen bereit. So zum Beispiel, als Matthias Sommer in Peking nach dem 4. Lauf im Zweierbob die Bronzemedaille sicher hatte, seinen Physio mit Tränen in den Augen ansah und mit kraftvoller Überzeugung sagte: „DANKE.“

Es sind solche Momente, die Ingo Freitag antreiben und motivieren: „Ich bekomme für meine Arbeit etwas zurück, das man mit Geld gar nicht bezahlen kann.“