Auf den Spuren von Genuss und Missbrauch

Alkohol und Zigaretten sind Dauerbrenner der gesellschaftlichen Debatte - vom Schüler bis zum Chefarzt

Alkohol und Nikotin – zwei Dauerbrenner in der gesellschaftlichen Debatte. Als Risiko für schwere Erkrankungen sind sie zwar anerkannt, aber reicht das? Ärzte im Krankenhaus haben darauf einen ganz besonderen Blick, denn sie sehen die Folgen des Missbrauchs. Ein Gespräch zwischen Prof. Stefan Dazert, Direktor der Universitätsklinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde im St. Elisabeth-Hospital Bochum, mit Sophie Kegel (17) und Alex Kirov (17), Abiturienten des Goethe-Gymnasiums in Bochum.

Alex: Ich habe gehört, dass die Zahl der Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen steigt. Haben Sie auch schon Jugendliche in Behandlung gehabt?

Prof. Dazert: Ein Viertel unserer Patienten sind Kinder und Jugendliche, aber Patienten mit Alkoholvergiftungen landen eher in der internistischen Klinik oder in der Kinderklinik.  Ich kenne allerdings auch Jugendliche, die schon einmal wegen Alkoholkonsums in der Klinik gelandet sind. Das sollte eigentlich nicht passieren, kommt aber trotzdem mal vor.  Wie seht ihr das?

Sophie: Ja, ich habe das auch schon von Freunden gehört.

Prof. Dazert: Und ist das dann ein Versehen oder ein Kick?

Alex: Ich habe einen Freund, der es bei einer Geburtstagsfeier übertrieben hat und im Krankenhaus gelandet ist – schon relativ früh am Abend . . .

Sophie: Es ist ja gesellschaftlich angesagt, sich zu treffen und Alkohol zu trinken. Manche trinken abends ein Entspannungsbierchen – Sie auch?

Prof. Dazert: Ja, zugegeben – aber nicht regelmäßig. Regelmäßiger Alkoholkonsum bringt die Gefahr der Gewöhnung und Abhängigkeit mit sich. Irgendwann braucht man dann jeden Abend Alkohol. Auch die konsumierte Menge nimmt mit der Gewöhnung zu. Dann bleibt es nicht bei einem Bier, es werden zwei, drei und mehr, um die gleiche Entspannung zu spüren.

Sophie: Ist das dann schon Abhängigkeit?

Prof. Dazert:  Es geht auf jeden Fall in die Richtung. Als Hals-Nasen-Ohren-Arzt kläre ich die Patienten über die Risiken von Alkohol und Tabak auf und weise auf die Angebote zur Entwöhnung hin.  Viele behaupten dann: „Ich kann jederzeit aufhören“ – aber genau das ist die Frage. Mir fällt auf, dass Jugendliche, die Alkohol trinken,  immer jünger werden. Kennt ihr Angebote zur Prävention von Abhängigkeitserkrankungen?

Alex: Es gibt von der AOK in den 8. und 9. Klassen eine Aktion, dass man etwas bekommt, wenn man ein Jahr rauchfrei blieb. Aber wird es dadurch nicht normalisiert, in diesem Alter schon zu rauchen?

Prof. Dazert: Gute Frage. Der Einstieg in den Konsum von Alkohol und Tabak wird immer mehr in jüngere Jahre verlagert. Dabei ist es nicht das größte Problem, mal über die Stränge zu schlagen – das kann auch eine Lehre sein. Aber wer bereits in der 8. Klasse anfängt, hat mit Mitte dreißig schon fünfzehn Jahre geraucht – und je eher man mit damit beginnt, umso größer ist das Krebsrisiko. Ich stelle z.B. fest, dass die Patienten mit Kehlkopfkrebs immer jünger werden.  Das liegt auch am früheren Einstiegsalter.

Sophie: Eigentlich ist ja gesetzlich geregelt, dass man erst mit 16 Jahren Alkohol trinken darf.

Prof. Dazert: Näheres hierzu steht im Jugendschutzgesetz. Branntweinhaltige Getränke dürfen sogar erst an Personen ab 18 Jahren abgegeben werden. Da stellt sich die Frage: Wer bringt den Alkohol mit und wo bekommt er ihn her, besonders wenn es sich um hochprozentige Getränke wie Wodka handelt?

Alex: Manchmal  sind es ja auch die Eltern, die so etwas vorleben. Deshalb finde ich das Programm Ihrer Klinik gut zu vermitteln, dass es nicht cool ist zu rauchen.

Prof. Dazert: Wie ist das denn in deinem Freundeskreis?

Alex: Der eine oder andere hat mal eine Zigarette probiert, aber dann gesagt: Nichts für mich. Aber es gibt ja heute auch E-Zigaretten und Shishas. Viele denken, das ist nicht so gefährlich. Auch darüber muss man sprechen.

Sophie: Shisha-Rauchen wird sehr verharmlost.

Prof. Dazert:  Mit E-Zigaretten wird das Muster des Rauchverhaltens beibehalten, wir empfehlen dies nicht. In der Entwöhnung werden Gewohnheitsmuster, also  in welchen Situationen man raucht, aufgezeigt und andere gesundheitsfördernde Verhaltensweisen eingeübt. Was könnte man dem Rauchen entgegensetzen? Man fragt Raucher zum Beispiel, welche Hobbys sie haben und ob sie Sport treiben.

Sophie: Meine Freunde treiben viel Sport, die können die Gefahren von Alkohol und Rauchen, glaube ich, gut einschätzen. Rauchen fördert da ja auch nicht die Leistung. Man sollte mit der Prävention schon in der Grundschule anfangen.

Prof. Dazert: Ich finde auch, man kann nicht früh genug damit beginnen. Wer viel Sport treibt, merkt, dass Alkohol nicht mit hoher Leistung kompatibel ist. Auch Kinder in der Grundschule verstehen das.  Man kann ihnen das in ihrer Sprache vermitteln.

 

Sophie: Raten Sie dazu, gar keinen Alkohol zu trinken oder komplett aufs Rauchen zu verzichten?

Prof. Dazert: Ich trinke auch mal ein Bier oder ein Glas Wein, mag es aber nicht, wenn ständig nachgegossen wird. Ich möchte den Überblick behalten, wie viel ich trinke. Bei bestimmten Erkrankungen sind die Zusammenhänge mit Rauchen und erhöhtem Alkoholkonsum bekannt.  Ich selber rauche nicht. Wovon ich außerdem dringend abrate, ist das Ausprobieren von illegalen Drogen. Da kann ich nur sagen: Finger weg!

Alex: Auch von vermeintlich weichen Drogen wie Cannabis?

Prof. Dazert: Ja.

Alex: Aber da wird doch die Freigabe als Medikament diskutiert.

Prof. Dazert: Ein Medikament wird vom Arzt für die Behandlung einer bestimmten Erkrankung verordnet und vom Patienten über eine gewisse Zeit genommen. Ohne einen solchen medizinischen Grund soll Cannabis auch als Medikament nicht genommen werden.

Alex: In Holland ist das Kiffen völlig normal, es ist an die Gesellschaft geknüpft. Würde das bei einer Legalisierung von Cannabis auch passieren?

Prof. Dazert: Kiffen ist keineswegs unproblematisch.  Probleme der Hirnleistungsfähigkeit, der Lern- und Merkfähigkeit werden beschrieben, insbesondere mit zunehmender Dauer und Intensität des Konsums. Wenn man sehr jung damit beginnt, kann sich das auf die schulische und berufliche Entwicklung auswirken.  Ich glaube, dass Cannabis mehr mit dem Menschen macht, als man allgemein meint, etwa beim Reaktionsvermögen und beim Verantwortungsbewusstsein als Autofahrer. Und im Beruf? Wenn ich abends eine Tüte rauchen würde, wäre ich morgens nicht fähig zu operieren. Auch Alkohol verändert die Reaktionsfähigkeit und Risikobereitschaft.

Sophie: Man sagt, dass Alkohol acht Stunden im Körper bleibt. Ist er danach komplett abgebaut?

Prof. Dazert: Das hängt von der körperlichen Konstitution und von der Menge ab, die man getrunken hat. Wenn man abends beim Fernsehen eine halbe Kiste Bier trinkt, ist die sicher morgens noch nicht abgebaut. Wichtig ist auch, ob man den Alkohol nüchtern konsumiert hat. Auch das Körpergewicht spielt eine Rolle und natürlich der Alkoholgehalt der konsumierten Getränke. 

Alex: Haben Sie da selbst Erfahrung von früher?

Prof. Dazert: Das ist lange her. Aber ich erinnere mich, dass ich mich nach Alkohol einmal übergeben musste. Das war lehrreich. Man muss lernen, die  Wirkung und die Risiken von Alkohol, überhaupt von Drogen, zu erkennen und einzuschätzen.  Das gilt auch für Tabakprodukte. Da bin ich streng und sehr konsequent  in meiner Haltung, weil ich in meiner  Arbeit sehe, wie viele Tumore dadurch verursacht werden.

Sophie: Alkohol und Nikotin zusammen sollen noch schlimmer sein . . .

Prof. Dazert: Wenn man z. B. 20 Jahre jeden Tag eine Schachtel Zigaretten raucht und dazu Alkohol trinkt, steigt das Krebsrisiko enorm. Mund, Rachen, Kehlkopf, Nase und Ohr sind ein zusammenhängendes Höhlensystem, wo jede Höhle mit der anderen verbunden ist.  Bei einem Zug aus der Zigarette wird die Schleimhaut überall betroffen. Irgendwann können die Schleimhäute sich nicht mehr erholen und das Tumorrisiko steigt.

Alex: Dass Rauchen Krebs verursacht, weiß man, aber bei Alkohol wird das gar nicht thematisiert.

Prof. Dazert: Es wurde in zahlreichen Studien bewiesen. Alkohol ist nicht nur für Leber- oder Pankreaskrebs ein wichtiger Risikofaktor. Und Zigaretten sind ein Risikofaktor vor allem für Kehlkopf- und Lungenkrebs. Aber auch andere Organe können Tumore entwickeln, z. B. die Blase. Bestimmte chemische Bestandteile im Tabak und Abbauprodukte des Alkohols wie Acetaldehyd schädigen die Zellen.

 Alex: Wie kommt man denn am besten vom Rauchen weg?

Prof. Dazert: Es gibt gut strukturierte Anleitungen und Entwöhnungsprogramme, etwa von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Dort gibt es auch Unterrichtsmaterial für Schulen und einen Leitfaden für Betriebe, um rauchfrei am Arbeitsplatz zu arbeiten. Die Bundeszentrale hält auch Informationsmaterial über andere Drogen bereit, z. B. über Alkohol, Cannabis, Kokain, Heroin, zur Abhängigkeit von Beruhigungspillen oder - auch wichtig:  über Spielsucht. Andere Institutionen wie die Deutsche Krebshilfe geben  Präventionsratgeber heraus. Diese erklären verständlich den Weg, wie man erfolgreich zum Nichtraucher wird. Auch die Krankenkassen sind aktiv in der Aufklärung und Beratung.

Sophie: Bei Alkohol ist das wohl schwieriger . . .

Prof. Dazert: Ja, alkoholabhängige Menschen schaffen die dauerhafte Abstinenz häufig nicht ohne professionelle ärztliche und psychologische Hilfe. Insbesondere ist es schwierig, nach der Entgiftung dauerhaft auf Alkohol zu verzichten. Hier gibt es ambulante und stationäre suchtmedizinische Angebote. Die Menschen lernen dort, ihre Abhängigkeit zu verstehen, auch die Risiken des Rückfalls. Der Alkoholabhängige lernt, die Verhaltensmuster und Versuchungen zu erkennen und ihnen durch Verhaltensänderungen zu begegnen, um „trocken“ zu bleiben. Unterstützung von Gleichbetroffenen geben Selbsthilfegruppen wie die Anonymen Alkoholiker. Besonders wichtig ist es deshalb, durch frühzeitige Aufklärung auf die Gefahren des riskanten Alkoholkonsums hinzuweisen.

 

Sophie: Ist Passivrauchen auch gefährlich?

Prof. Dazert: Auf jeden Fall. In meiner Jugend wurde noch überall geraucht – in Restaurants und Kneipen. Das gibt es nicht mehr. Für mich ein absoluter Gewinn an Lebensqualität. Die Schadstoffe sind ja nicht nur in der Lunge des Rauchers, sondern auch im Raum. Wir wissen auch, dass Kinder aus Raucherfamilien beispielsweise mehr Probleme mit chronischen Ohr- und Rachenerkrankungen haben - Folgen des Passivrauchens.

Alex: Und E-Zigaretten? Unschädlich?

Prof. Dazert: Es gibt noch keine wissenschaftlichen Langzeitstudien, die das belegen. Diese muss man abwarten, denn Vermutungen sind immer schwierig. Nur auf der Basis von tragfähigen Studien kann man medizinische Empfehlungen geben oder entsprechende Gesetze erlassen.

Sophie: Alkohol ist ja angeblich gut für die Gefäße . . .

Prof. Dazert: Wer etwas für seine Gefäße tun will, sollte Sport treiben und nicht Wein trinken.

Alex: Sollten die Schulen Suchtprävention noch mehr in den Unterricht einbauen?

Prof. Dazert: Ja, am besten schon in der Grundschule. Zum Beispiel kann man die Zusammenhänge im Biologie-Unterricht zeigen und darüber hinaus die sozialen und seelischen Komponenten von Abhängigkeitsgefährdung in anderen Fächern ansprechen. Da gäbe es viele Ansätze.

Alex: In den USA darf man erst mit 21 Jahren Alkohol trinken, bei uns mit 16. Wofür sind Sie?

Prof. Dazert: Ich setze eher auf Aufklärung, Verantwortungsbewusstsein und frühzeitiges Ansprechen von Problemen. Bei uns gilt das Jugendschutzgesetz. Es differenziert zwischen hochprozentigen, branntweinhaltigen und anderen alkoholischen Getränken und berücksichtigt das Lebensalter. Ich finde das gut geregelt, denn die Zusammenhänge lassen sich in dem Alter schon gut verstehen. Bei einem absoluten Verbot hat man letztlich nur den Reiz des Verbotenen.

Sophie: Wie ist Ihnen das von Ihren Eltern vermittelt worden? Durften Sie mal am Bier nippen?

Prof. Dazert: Meine Eltern haben das relativ liberal gesehen. Als Eltern sollte man sich der eigenen Vorbildfunktion für die Kinder bewusst sein. Suchtverhalten wird erlernt. Sprecht ihr im Freundeskreis über solche Themen?

Sophie: Bei manchen ist Alkohol schon ziemlich gefragt, andere sehen die Risiken. Aber man wird auch manchmal komisch angesehen, wenn man nichts trinken will.

Prof. Dazert: Am effektivsten ist es, wenn man solche Themen offen anspricht. Informationsverbreitung ist für mich das Wichtigste.

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