Mediziner-Ausbildung goes virtuell – was schon seit längerer Zeit an vielen Universitätskliniken praktiziert wird, ist durch die Corona-Pandemie noch beschleunigt worden: Lehre per Video und in Skills Labs im medizinischen Simulations- und Trainingszentrum des Instituts für Forschung und Lehre (IFL) am St. Josef-Hospital, das Lehrenden aller Bochumer Universitätskliniken zur Verfügung steht. Damit, so der Leiter des Zentrums, Dr. Andreas Breuer-Kaiser, habe man die Voraussetzungen dafür geschaffen, die neue Approbationsordnung im Medizinstudium umzusetzen: weg von der reinen Wissensvermittlung hin zu mehr praktischen Fähigkeiten. Das Simulationszentrum sei jedoch mehr als eine Ausbildungseinrichtung: „Es ist vielmehr ein Messlabor, um die Kompetenz der Studierenden systematisch zu erfassen, neue Lehrmethoden zu entwickeln und wissenschaftlich zu untersuchen.“ Und es biete weitere Vorteile: „Wir versuchen damit, den Ressourcenmangel in der Ausbildung, die Verfügbarkeit teuren Lehrpersonals, zu lösen“, erklärt der Oberarzt der Anästhesiologie. „Und nicht zuletzt dient es uns auch als Messlabor, um die Kompetenz von Studierenden systematisch zu entwickeln und zu überprüfen. Das wiederum dient auch der Patientensicherheit.“

Eine Situation, wie sie täglich hundertfach in Kliniken vorkommt: Ein Patient wird für eine Operation vorbereitet. Mit dem Unterschied, dass der „Patient“ eine Simulationspuppe ist, die Behandler Medizinstudierende im zweiten Semester sind. Und doch ist – fast – alles wie im „richtigen“ Leben. Henry und Michelle fragen den „Patienten“ nach seinem Befinden, checken die Vitalwerte, leiten die Narkose ein. „Ihnen könnte es  gleich etwas schummerig werden“, erklärt Michelle. „Das ist aber ok so.“ Henry greift zum Narkotikum. „Fünfzig Mikrogramm Sufentanil“, sagt er zu seiner Kommilitonin. „Fünfzig Mikrogramm Sufentanil“, meldet sie zurück. Und – zack – passiert ein Fehler: Die Injektion, die Henry verabreicht hat, enthält die doppelte Menge! Ein menschlicher Fehler, wie er vorkommen kann, aber natürlich nicht sollte. „Patientensicherheit ist eines der wichtigsten Themen, die uns motivieren“, sagt Dr. Andreas Breuer-Kaiser. „Achtzig Prozent aller Fehler kommen durch menschliche Faktoren zustande. Unser Ziel ist es, schon die Studierenden damit zu konfrontieren und sie mit Fertigkeiten auszustatten, damit so etwas möglichst nicht am Patienten passiert.“

Deshalb üben die Studierenden auch schon ab dem vorklinischen Studium im IFL  in lebensecht ausgestatteten Räumen: Aktuell gibt es einen OP-Saal, ein Intensivzimmer sowie einen Kreißsaal. Weitere Funktionsräume sollen hinzukommen. „Die Studierenden können hier mit echten Medizinprodukten arbeiten und in geschützter Atmosphäre vieles ausprobieren“, erläutert Breuer-Kaiser. „Man kann auch Notfälle simulieren und die Studierenden entsprechend ihres Ausbildungsstandes damit konfrontieren.“ All das wird live in einen Seminarraum übertragen oder als Aufzeichnung online zur Verfügung gestellt, so dass möglichst viele angehende Ärzte und Ärztinnen profitieren. „Es gibt da mehrere mögliche Szenarien: Studierende sitzen zu Hause und nehmen teil, wobei sie auch Fragen stellen, chatten und aktiv ins Geschehen eingreifen können. Lehrende können sich live dazu schalten oder das Video später anschauen“, sagt der Oberarzt und fügt hinzu: „Wo kann ich sonst aus dem Homeoffice oder nach der Patientenversorgung noch eine Tätigkeit für die Lehre realisieren?“

Das Simulationszentrum bietet noch weitere Vorteile: „Wir versuchen damit bereits jetzt, den sich abzeichnenden Ressourcenmangel in der Ausbildung zu lösen: Die Verfügbarkeit von Lehrpersonal ist schon jetzt bundesweit eine Herausforderung und wird sich künftig durch noch höhere Anforderungen an die medizinische Lehre und die demografischen Veränderungen weiter verschärfen“, erklärt Breuer-Kaiser. „Wir versuchen also, mit gleichen Ressourcen Wege zu finden, die Steigerung der Qualität der Lehre mit modernen Mitteln voranzubringen.“ Eine Möglichkeit, dem Ressourcenproblem in der Medizinerausbildung zu begegnen, liegt in der Digitalisierung: „Sobald etwas abseits des Patientenbettes stattfindet, braucht man dafür zusätzliches Personal.“ Durch die Produktion von Lehrvideos, für die es im IFL ein eigenes Green-Screen-Studio gibt, und die Ausbildung studentischer Tutoren könne man den Personalaufwand deutlich reduzieren. Die Zeit, die das vorhandene Lehrpersonal aufwendet, kann so möglichst effizient genutzt werden. „Eine Veranstaltung startet also nicht mehr mit den Worten „Guten Tag, wir beginnen nun mit einer theoretischen Einführung“, sondern mit „Haben Sie noch Fragen zu den Videos?.“

Simulationsräume und Green-Screen-Studio haben noch viele weitere Funktionen: Neben der Produktion von Videos können Veranstaltungen gestreamt werden – entweder in einen Seminarraum im IFL selbst oder zu Studierenden und Lehrenden nach Hause. Breuer-Kaiser: „Viele Lehrveranstaltungen mussten so selbst zu Hochzeiten der Pandemie nicht abgesagt werden. Sogar in häuslicher Isolation konnte man daran teilnehmen.“ Das sei aber nur der Anfang: „Neben zusätzlicher Kameratechnik befinden sich Geräte zur Ausbildung in virtueller Realität und KI-gestützten Assistenzsystemen in der Ausschreibung.“

Während Studierende sich im Skills Lab wie in einer echten Umgebung fühlen und häufig sogar vergessen, dass alles nur eine Simulation ist, können sie gleichzeitig ihre Kompetenzen überprüfen: Die Simulationspuppe erfasst sekundengenau jeden Handgriff des Studierenden, so dass eine wissenschaftliche Auswertung möglich ist. „So kann man den angehenden Medizinern spiegeln, was sie alles gemacht haben“, sagt Breuer-Kaiser. Das diene dazu, das eigene Handeln zu reflektieren und seine Kompetenz besser einzuschätzen. „Wir haben hier also eine Lehreinrichtung und ein Messlabor in einem. Das heißt unterm Strich: Nicht nur die medizinische Behandlungsqualität steigt, sondern auch die Fähigkeit zur Selbstregulation, der Grundlage für lebenslanges Lernen.“

Michelle und Henry stehen noch ganz am Anfang – und werden die falsche Dosierung des Narkosemittels wohl doch nie vergessen. Ein Fehler, der ihnen vermutlich nie wieder passieren wird. In der Nachbesprechung mit Andreas Breuer-Kaiser und ihren Kommilitonen wird vieles angesprochen. „Sie haben dem Patienten gesagt: Sie bekommen etwas gegen die Schmerzen“, spiegelt Breuer-Kaiser. „Diese Wortwahl triggert manche Menschen, weil sie Schmerzen erwarten. Und Sie wundern sich dann, dass plötzlich der Blutdruck steigt.“ Die Wortwahl solle also besser neutral sein: „Sie bekommen jetzt etwas, damit Sie sich gut fühlen“. Neben Kritik gibt es in der Besprechung aber auch viel Lob: für die Kommunikation im Team, für gut gewählte Worte in der Patientenansprache.

Die Ausbildung direkt am Patienten können und sollen weder Simulationszentrum noch Skills Labs ersetzen. „Ich werde an dieser Puppe nicht intubieren oder sonographieren lernen“, betont Breuer-Kaiser. „Es geht vielmehr um Handgriffe und Abläufe.“ So werden unter anderem seltene Prozeduren oder komplexe  Abläufe simuliert. „Hier kann niemand zu Schaden kommen, hier kann Angst genommen werden. Aber das kann niemals die Ausbildung an echten Patienten ersetzen.“ Studierende könnten im Skills Lab aber erkennen, wie sie selbst und auch andere auf Stress reagieren – wichtig vor allem auch für die Patientensicherheiz. „Am Ende des Tages zählt, dass es auch unter suboptimalen Bedingungen, beispielsweise nachts um drei Uhr funktioniert.“