An Freizeit ist kaum zu denken

Pandemie stellt das Hygiene-Team vor gewaltige Herausforderungen

Man kann noch so viel Berufserfahrung mitbringen, die Corona-Krise hat für viele neue Herausforderungen, neue Arbeitsweisen und vor allem für viele neue Erkenntnisse gesorgt – auch und gerade in der Hygieneabteilung. Und wie so mancher Sturm fing auch dieser als laues Lüftchen an.

Dr. Friederike Lemm reagierte am Anfang noch eher intuitiv: Ende Januar gab es erste Informationen über ein weitgehend unbekanntes und in der Dimension noch unterschätztes neues Corona-Virus in der chinesischen Region Wuhan. Danach ließ die Leiterin der Hygieneabteilung im Katholischen Klinikum Bochum zunächst noch rein vorsorglich einen Ordner mit Informationen des Robert Koch-Institutes anlegen: „Dass der sich so rasend schnell füllen würde, hat niemand von uns auch nur ansatzweise ahnen können. Bereits damals hatten wir eine intensive Kooperation mit der Infektiologie im St. Josef-Hospital unter Leitung von Dr. Renate Schlottmann aufgenommen. Schon Mitte Februar haben wir dann ein Hygienekonzept mit Infos über den Übertragungsweg erstellt. Und auch das war alles noch rein prophylaktisch gedacht … “

Die Alarmglocken läuteten erstmals Ende Februar, als im Norden Italiens, in Teilen Frankreichs sowie Spaniens die Infektionszahlen stark stiegen. Der Klinikbetrieb lief allerdings bis auf einige Abstrichproben von China-Rückkehrern und einer Handvoll ambulanter Patienten mit auffälligen Symptomen noch weitgehend normal. Aber schon Mitte März wurde der erste schwer erkrankte Corona-Patient im St. Josef-Hospital stationär aufgenommen. Die erste Infektionswelle ließ dann nicht lange auf sich warten. Parallel geriet die Versorgung mit Schutzkleidung sowie einer Reihe von Medikamenten und Desinfektionsmitteln ins Stocken, weil Transportwege unterbrochen wurden, während zeitgleich die Nachfrage explodierte.

Nicht das einzige Problem, das es zu bewältigen gab: Weil immer mehr Menschen verunsichert und verängstigt reagierten, wurden in den Kliniken plötzlich Desinfektionsspender reihenweise geleert oder von der Wand gerissen.

Damit begann eine Phase, in der fast täglich und in kürzester Abfolge neue Informationen auszuwerten und immer neue Abstimmungen und Entscheidungen zu treffen waren, erinnert sich Dr. Lemm: „Einkaufsabteilung und Zentralapotheke unter Leitung von Dr. Irmgard Plößl zogen alle Register, um unser großes Klinikum mit den dringend benötigten Reinigungs-, Desinfektions- und Schutzmaterialien zu versorgen. Zugleich war der Markt für technisches Beatmungszubehör wie leergefegt. Zwar waren in der ersten Welle, wie politisch gefordert, weniger Patienten zu versorgen, weil 15 Stationen gesperrt waren. Doch mussten alle nach wie vor aktiven Bereiche, vor allem die

Intensivstationen, die Geburtsmedizin, Geriatrie, Chirurgie, Notfallversorgung und natürlich alle unsere Mitarbeiter weiter versorgt und geschützt werden.“ Was waren die größten Herausforderungen? „Natürlich war das gesamte Frühjahr eine sehr arbeitsintensive Zeit, in der auch nicht ansatzweise an Urlaub oder nette Kaffeepausen zu denken war. Aber es waren weniger die vielen Überstunden, die uns gefordert haben, sondern die sich immer wieder ändernden Verordnungen und Anforderungen an Materialien. In der Hochzeit waren wir fast täglich auf unseren Stationen unterwegs: Wir mussten alle Mitarbeiter über den Stand der Dinge informieren und insbesondere die Infektions- und Intensivstationen mit der richtigen Schutzausrüstung (Masken und Visiere) versorgen. Und schließlich galt es, diese Mitarbeiter im korrekten Gebrauch der Materialien zu schulen.“

Besonders sichtbar wurde der Wandel durch die zügig aufgebauten Zelt-Schleusen in zentralen Außenbereichen des St. Josef-Hospitals. Diese von der engagierten Technikabteilung des Klinikums in Windeseile errichteten Zelte waren geradezu „kriegsentscheidend“, um die eintreffenden Patienten richtig zu lotsen, ohne dabei die Ansteckungsgefahr zu erhöhen und unnötige Wartezeiten zu produzieren. Ein kleines Abstrichzelt, eines für ambulante Verdachtspatienten, eines an der Kinderklinik und kurz danach ein weiteres an der Zentralen Notaufnahme leisteten wertvolle Dienste – auch zur Untersuchung der eigenen Mitarbeiter. Immerhin kamen davon mehrere Hundert, um sich testen zu lassen.

Um folgenschwere Entscheidungen treffen zu können, muss man klar strukturiert sein. Wie funktionierte die schnelle Weichenstellung? „Fast täglich traf sich unser Corona-Leitungsteam, bestehend aus Vertretern der Geschäftsführung, der Infektiologie, dem Ärztlichen Direktor und unserer Abteilung. Darüber hinaus traf sich das Corona-Intensiv-Team, besetzt mit den verantwortlichen Oberärzten der betroffenen Stationen / Bereiche sowie der Pflegebereichsleitung und der Hygiene. In dieser Runde konnten wir zielgenau und schnell die akuten Lösungen entwickeln und zügig kommunizieren.“ Dazu dienten die Besprechungen aller Stationsleitungen, das Klinik-Intranet und nicht zuletzt eine Vielzahl von Beschilderungen und Aushängen. Mit den übrigen Bochumer Kliniken wurde das Vorgehen abgestimmt, einmal sogar in einer großen Corona-Konferenz im Hörsaalzentrum am St. Josef-Hospital. „Und schließlich“, so Dr. Lemm, „pflegten wir einen ständigen intensiven Austausch zum städtischen Gesundheitsamt. Besonders hilfreich war hier eine vertrauliche Rufnummer, über die die Mitarbeiter dort ständig erreichbar waren.“

Und wie misst man den Erfolg all dieser aufwendigen und einschneidenden Maßnahmen? „Nicht einfach zu quantifizieren“, wägt Dr. Lemm ab. „An dem insgesamt guten Vorgehen in Bochum durch die schnelle und professionelle Versorgung von Corona-Patienten hatte unsere Klinik schon einen maßgeblichen Anteil.“

Eng eingebunden war in den ersten Monaten die ärztliche Pandemie-Arbeitsgruppe unterstützt von den Betriebsmedizinern Dr. Ingrid Wienzek und Klaus Helker, der Augenärztin Dr. Selma Tiedtke und mehreren dermatologischen Assistenzärzten sowie dem Ärztlichen Direktor des Martin-Luther-Krankenhauses, Dr. Alexander Andres. Später übernahm diese Aufgabe die Infektiologin und ärztliche Mitarbeiterin der Hygiene, Dr. Bernadette Kaup, in Zusammenarbeit mit der gesamten Hygiene-Abteilung.

Täglich war das gesamte Team bis spät in die Nacht und auch am Wochenende für die sogenannte Kontaktverfolgung im Einsatz. Mehrere hundert Fälle wurden zeitnah und effizient bearbeitet. Langfristig dürfte noch von Nutzen sein, dass sich etliche Mitarbeiter sofort bereit erklärt hatten, für die neuen Erfordernisse Schulungen und Weiterbildungen zu nutzen. Einen emotionalen Effekt gab’s obendrein: Bei etlichen Pflegekräften und Ärzten entstand im Verlauf der Krisenbewältigung zunehmend ein Gefühl von breiter Unterstützung und Solidarität, einige sprechen auch von neuen Freundschaften im Kollegenkreis.

Natürlich kamen anfangs Fragen auf, ob das Klinikum mit seinem Schutzkonzept nicht etwas über das Ziel hinausgeschossen hatte. Dr. Lemm hat dazu eine klare Position: „Wie effizient und wegweisend diese Maßnahmen schon in der frühen Phase waren, hat man im weiteren Jahresverlauf gesehen. Bereits im Frühjahr war es richtig, bei einer Erkrankung, die für uns alle zunächst noch gänzlich unbekannt war, ein stringentes Konzept zu entwickeln. Am Ende sollten wir alle einfach nur froh sein, schon von Anfang an gut vorbereitet gewesen zu sein. Wäre der scharfe Lockdown seinerzeit nur eine Woche später verhängt worden, wären die Infektionszahlen damals wahrscheinlich so exponentiell gestiegen, dass unsere und andere Klinikkapazitäten nicht mehr ausgereicht hätten.“

Im Herbst und Winter nahm das Infektionsgeschehen dann neue Fahrt in einer Weise auf, wie es viele nicht für möglich gehalten hatten. Im Katholischen Klinikum wurde Vorsorge getroffen und ausreichend Schutzmaterial eingelagert, das zuverlässig nachlieferbar ist. Auf die Frage, wie das Klinikum auf die zum Jahresende wieder stark steigenden Fallzahlen reagiert habe, sagt Dr. Lemm: „Da wir in unserer Abteilung an Grenzen stießen, musste die Arbeit auf mehrere Schultern verteilt werden.“ So wurden zahlreiche Ärzte und Pflegekräfte geschult und leisten in ihren Bereichen konstruktiv ihren Beitrag bei der Umsetzung der erforderlichen Hygienemaßnahmen. Außerdem wurde die Hygieneabteilung personell unterstützt: „Jeder weiß: Corona geht uns alle an. Nur gemeinsam können wir diese Aufgabe bewältigen.“

Die Herausforderungen bleiben also hoch. Impfstoffe stehen zwar inzwischen zur Verfügung, aber es wird lange dauern, bis große Teile der Bevölkerung geimpft sein werden. Dr. Lemm und ihr gesamtes Hygieneteam werden also noch lange Zeit im Brennpunkt des Geschehens bleiben.