Pflege arbeitet in der Corona-Zeit unter hoher Anspannung

Teamarbeit ist im Krankenhaus entscheidend für den Erfolg – nicht nur auf der Infektionsstation

In der Krise erkennt man den Charakter, sagt der Volksmund. Angela Graß, Bereichsleiterin im Pflegeteam des Katholischen Klinikums Bochum, wandelt dies ein wenig ab: „In der Krise erkennt man die Fähigkeiten.“

Corona hat die Kranken- und Altenpflege in eine absolute Ausnahmesituation gebracht und vor Herausforderungen gestellt, die für die meisten nicht vorstellbar waren. Dazu zählten viele Dinge im täglichen Ablauf, viele Details, die es neu zu justieren galt, vor allem aber der Umgang mit der eigenen Unsicherheit oder sogar mit der Angst. Zuzupacken, wenn ein todbringendes Virus unabweisbar nah ist, das liegt nicht jedem. Wie man es dann doch schafft, hat vor allem mit Persönlichkeit zu tun, nicht nur mit Alter und Erfahrung.

Aber ganz egal, wie der einzelne mit seiner Angst umging, wie stark er der Bedrohung ins Auge sehen konnte und wann vielleicht doch Zweifel aufkamen, eines blieb immer stark: Die Motivation, etwas Besonderes zu schaffen. Und wenn daraus auch noch glückliche Momente entstehen, indem ein zuvor schwerkranker Patient stabil nach Hause geht, ist dies eine ganz besondere Erfahrung. Das gilt im Krankenhaus zwar immer, wenn ein Patient wieder auf die Beine kommt, in der Corona-Zeit aber ganz besonders.

"Das Risiko einer Pandemie war bei mir stets im Kopf"

Natürlich kam Corona in dieser Form als brachiale Neuheit, gänzlich unbekannt war das Phänomen einer Epidemie oder Pandemie aber dennoch nicht. Da muss man gar nicht Jahrhunderte zurückgehen und beispielsweise die diversen Eruptionen der Pest betrachten, es reicht schon ein Blick in die jüngere Vergangenheit. Wer wie Angela Graß lange Zeit eine Infektionsstation geleitet hat, kann sich an viele Virenausbrüche erinnern: SARS, Vogelgrippe, Schweinegrippe oder Ebola. All dies geschah in nur wenigen Jahren, wenngleich das Ausmaß nicht mit COVID-19 vergleichbar war.

Mit unterschiedlichen Folgen für den Menschen zwar, aber doch stets mit internationalen, oft sogar weltweiten Auswirkungen. „Das Risiko einer Pandemie“, sagt die 57-jährige Bochumerin, „war bei mir stets im Kopf. Irgendwie kommen solche Dinge immer wieder.“ Und geht man aus einer solchen Stresssituation anders heraus als man hineingegangen ist? „Auf jeden Fall. Das Klima im Krankenhaus insgesamt hat sich positiv verändert. Der Umgang miteinander ist anders geworden, die Krise hat viele von uns näher zusammengebracht.“

Das Katholische Klinikum hatte schon im März und April zahlreiche Stationen geschlossen, um Platz zu schaffen und für eine drohende massive Corona-Welle gewappnet zu sein. Viele der dort tätigen Mitarbeiter wurden kurzfristig auf anderen Stationen eingesetzt oder intensiv- und Infektionsmedizinisch geschult. Folge: Es entstanden neue Teams mit neuen Bekanntschaften und in etlichen Fällen sogar neuen Freundschaften.

Engpässe bei Schutzausrüstung

Auch die Bereitschaft vieler Menschen, an ihre Grenzen zu gehen, bisweilen darüber hinaus und sich dabei auch noch weiterzubilden, war eine sehr schöne Erfahrung, sagt Angela Graß. Profitiert haben die Mitarbeiter davon, dass das Katholische Klinikum sich schon sehr früh auf den Ernstfall vorbereitet hatte. Dennoch drohten Engpässe in der Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung wie Kittel oder Mund-Nasen-Schutzmasken. Nicht zu wissen, wie lange dieser Vorrat reicht, ist eine extreme Anspannung, gerade dann, wenn die Hygienestandards ansonsten hoch sind. Plötzlich war es auf der Infektionsstation nicht mehr möglich, jedes Mal einen neuen Kittel zu nehmen, wenn ein Krankenzimmer betreten wurde. Plötzlich musste rationiert und gespart werden. Das trug naturgemäß zur Verunsicherung bei: „Wir waren alle in Lauer-und Wartestellung. Was kommt als Nächstes?“ Diese Erfahrung kam sehr schnell. Seit Herbst stieg die Anspannung wieder immens, es gab große Probleme bei der Stellenbesetzung.

Eine besondere Herausforderung stellt - ganz unabhängig von Corona – der Umgang mit Sterbenden dar. Hier wird die Pflege des Katholischen Klinikums traditionell von der Seelsorge stark unterstützt. Dadurch, dass Besuche von Angehörigen schon im Frühjahr und erst recht im 2. Halbjahr stark eingeschränkt und nur in Ausnahmefällen möglich waren, wuchsen die Anforderungen an die Mitarbeiter noch weiter. Allein zu sterben, ist etwas, was niemand erleben möchte. Die Mitarbeiter auf der Station stellen sich dieser Herausforderung sehr bewusst. Gehen Patienten ihren letzten Gang, nutzt die Pflege jede freie Minute, um ins Zimmer zu gehen und die Hand zu halten.

Pflege bringt an 365 Tagen im Jahr Höchstleistungen

Die gewaltigen Leistungen, die das Gesundheitssystem in der Corona-Zeit erbrachte, wurden von der Öffentlichkeit breit und teils spektakulär gewürdigt. Nachbarn klatschten auf Balkonen, es wurden Transparente vor dem Eingangsportal aufgehängt und vieles andere mehr. Bis in die höchsten Reihen des öffentlichen Lebens bekundeten Menschen ihre Solidarität und Anerkennung mit einer Berufsgruppe, die mental zuweilen am Abgrund stand. „Das hat uns tief berührt“, sagt Angela Graß. Ebenso wichtig findet sie, dass der in der Corona-Zeit so häufig und lautstark bekundete Respekt nicht wieder verhallt. Schließlich bringt die Kranken- und Altenpflege an 365 Tagen im Jahr permanent Höchstleistungen, nicht nur in der Corona-Krise. Respekt sollte nachhaltig sein. Erst dann geht er richtig nahe.