Ärzte der Bochumer Ruhr-Universität haben erstmals erfolgreich die sogenannte CAR-T-Zelltherapie eingesetzt, um zwei schwerkranke Menschen mit einer seltenen Erkrankung des peripheren Nervensystems zu behandeln und zu stabilisieren. Bei der Therapie wurden körpereigene Immunzellen gentechnologisch so verändert, dass sie krankheitsverursachende Zellen gezielt erkannten und eliminierten. Es handelt sich um die weltweit erste klinische Studie zur Anwendung einer CAR-T-Zelltherapie bei einer besonders schweren Form der Autoimmunneuropathie, der sogenannten CIDP (chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie). Das Team der Neurologischen Universitätsklinik im St. Josef-Hospital Bochum beschreibt die Ergebnisse gemeinsam mit der Klinik für Hämatologie im Knappschaftskrankenhaus Bochum hochrangig in der Zeitschrift „The Lancet Neurology“.
CIDP ist eine seltene Erkrankung mit einer Häufigkeit von zwei bis fünf Patienten pro 100.000 Personen. Sie führt zu Lähmungen, Gefühlsstörungen und teils schwerer Behinderung mit Verlust der Gehfähigkeit und in Ausnahmefällen sogar lebensbedrohlichen Zuständen. Insbesondere bei schweren Verläufen, in denen herkömmliche Verfahren nicht halfen, sind die Behandlungsmöglichkeiten bislang stark eingeschränkt. Die CAR-T-Zelltherapie ist aus der Krebsmedizin bekannt, wurde zuvor jedoch nicht systematisch bei Autoimmunerkrankungen des Nervensystems untersucht.
Immunzellen wurden individuell gentechnisch verändert
CIDP ist eine Autoimmunerkrankung, bei der die B-Zellen des Immunsystems das eigene periphere Nervensystem angreifen. Gegen diese außer Kontrolle geratenen B-Zellen richtete sich die individuelle CAR-T-Zelltherapie. In der Studie entnahmen die Mediziner den Patienten Blut in einer Leukapherese und isolierten T-Immunzellen. In diese wurden in einem amerikanischen Labor gezielt Rezeptoren durch virale Genmanipulation eingeschleust, die die krankhaft veränderten B-Zellen erkannten. Anschließend wurden die Patienten mit ihren individuell hergestellten T-Zellen behandelt.
„Wir haben nach der Rückinfusion im Blut täglich auf Zellebene die Vermehrung der CAR-T-Zellen sowie gleichzeitig die Abnahme der zirkulierenden B-Zellen sowie der übrigen Immunzell-Parameter aus Sicherheitsgründen kontrolliert“, erklärt das Team. Durch den Zelltod von reifen B-Zellen und die Freisetzung von Entzündungsstoffen gab es anfangs mäßige Nebenwirkungen, die durch erprobte Immunmedikamente umgehend behoben wurden.
Bochum zählt in Europa zu den führenden Zentren der Neuroimmunologie
„Unsere Arbeit zeigt, dass der gezielte Einsatz von CAR-T-Zellen auch bei schweren Autoimmunerkrankungen des peripheren Nervensystems möglich ist – mit einem beeindruckenden klinischen Nutzen“, erklärt Prof. Jeremias Motte, Erstautor der Studie und Geschäftsführender Oberarzt der Klinik für Neurologie im St. Josef-Hospital. „Dieser Durchbruch war nur dank der großartigen Teamarbeit in Klinik und Labor möglich – eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit über Fachgrenzen hinweg.“
Di Zelltherapie selbst wurde unter Leitung von Prof. Roland Schroers, Direktor der Klinik für Hämatologie im Knappschaftskrankenhaus, durchgeführt. „Die sichere Herstellung und Anwendung dieser innovativen Therapie bei Autoimmunerkrankungen stellt auch aus hämatologischer Sicht Neuland dar.“ Es gelang, Ergebnisse der Grundlagenforschung effizient in die klinische Arbeit zu überführen. Schroers: „Ein starkes Beispiel für translationale Medizin in der Hochschulmedizin.“
Letztautor der Studie ist Prof. Ralf Gold, Direktor der Klinik für Neurologie. „Bochum zählt heute zu den führenden Zentren für Neuroimmunologie in Europa. Diese Publikation zeigt, dass unsere langjährige Expertise in der Grundlagenforschung, Diagnostik und Patientenversorgung nun in innovative Therapien mündet – zum Nutzen unserer schwer kranken Patientinnen und Patienten. Besonders wissen wir zu schätzen, dass die beteiligten Bochumer Universitätskliniken gut zusammengearbeitet und die individuellen Heilversuche ohne Zögern unterstützt haben.“
„Wir stehen am Beginn eines neuen Kapitels“
Insgesamt wurden an der Bochumer Universitätsklinik bereits elf Patientinnen und Patienten mit verschiedenen schweren neuroimmunologischen Erkrankungen, darunter CIDP, Myasthenia gravis und Stiff-Person-Syndrom, im Rahmen individueller Heilversuche und klinischer Studien mit CAR-T-Zellen behandelt. Diese Erfahrungen bilden die Grundlage für weitere klinische Studien, auch in Zusammenarbeit mit Partnern im In- und Ausland. Ebenfalls maßgeblich daran beteiligt waren Dr. Melissa Sgodzai, Dr. Rafael Klimas und Privatdozentin Dr. Kalliopi Pitarokoili.
„Wir stehen am Beginn eines neuen Kapitels in der Behandlung schwerer Autoimmunerkrankungen“, betont Jeremias Motte. "Die CAR-T-Zelltechnologie klopft nun auch an die Tür für die Behandlung von häufigeren Erkrankungen wie Multiple Sklerose (MS) oder Rheuma.